Gewollt aber nicht gekonnt

Reicher Mann und armer Mann
standen da und sahn sich an.
Und der Arme sagte bleich:
»wär ich nicht arm, wärst du nicht reich«.

Bertolt Brecht


Meinen Sprachkurs habe ich seit gestern beendet. Zwar habe ich den Subjuntivo noch nicht in meinen aktiven Spracjgebrauch uebernommen, aber wenn ich mein Harr Potter auf Spanisch lese, erkenne ich ihn wenigstens und weiss auch meist, warum er dort benutzt wird. Insgeamt hat mir der Sprachkurs auf jeden Fall ne Menge gebracht.
Trotzdem bin ich immer noch in Sucre, weil ich am Sonntag zu einem Fussballspiel gehe und abends noch noch zum Konzert der Bacillos , wenn es nicht auch ausfaellt, wie das Konzert von Pablo Milanes, zu dem ich eigentlich auch wollte.
Bacilos sind der Haupact des Kulturfestivals hier in Sucre.
Die letzten Tage habe ich hier einige Veranstaltungen mitgenommen, zu dene ich in Deutschland vielleicht nicht unbedingt gegangen waere. Darunter zwei klassische Konzerte mit Klavier und Querfloete und gestern war ich beim Modernen Tanz.
Gerade komme ich vom Ballet, es gab Rome y Julieta. Auch wenn ich die Geschichte nicht unbedingt wiedererkannt habe (¿oder soll man das beim Ballet auch gar nicht?), bis zur letzten Szene den falschen fuer Romeo gehalten habe und nicht wusste, wer Julia ist, fande ich es doch mal interessant zu sehen. Es war das erste Ballet meines Lebens.
Leider kommen hier 10% der Leute zu spaet zu den Veranstalltungen, obwohl sie schon spaeter anfangen als geplant. Dann klingeln eindauernd die Handys, was ja auch in Deutschland oefters votkommt, aber hier druecken sie es nicht weg, sondern lassen es schellen und gehen dabei raus oder nehmen das Gespraech sogar an und fangen an zu sprechen, wie ich es im Kino erlebt habe. Vielleicht meinen die Einheimischen das, wenn sie mir immer sagen, ihnen wuerde die "Kultur" fehlen. Ich weiss nie so genau, was sie damit meinen, aber vieleicht so etwas.

Ob ich am Montag dann zu meinem naechsten Ziel nach Potosie fahren kann, weiss ich aber noch nicht, da hier mal wieder die Strassen gesperrt sind durch Aufstaende. Aufstaende gehoeren hier zur politischen Kultur und sind Teil der APO. Wenn die Regirung einen Beschluss fast, der einer Gruppe (den Strassenbauarbeitern, den Lehrern, den Studenten, etc.) nicht passt, blockiert diese Gruppe die Strassen. Mach einiger Zeit bekommt sie dann Unterstuetzung von anderen Gruppen und wenn es ganz hart kommt, greift die COB, eine Art riesen Gewerkschaft mit ein und dann liegt das ganze Land lahm.
Hier in Sucre sind gerade einige Studenten im Hungerstreike (warum weiss ich nicht), in La Paz blockieren die Taxifahrer die Strassen, weil sie nicht wollen, dass eine neue "Strassenbahn" durch La Paz gebaut wird. Und die grossen Starssen im Land werden von wem auch immer blockiert, weil Oel und Benzin teurer werden sollen. Es gibt also immer einen Grund fuer eine Blockade.
Trotzdem gefaellt mir immer noch sehr gut, auch wenn ich nicht soviel kenne. Und auch wenn Bolivien als Land vielleicht das aermste und am wenigsten entwickelste ist, so scheinen mir die Menschen "fortschrittlicher" zu sein als z.B. in Peru.
In Peru hatte ich oft das Gefuehl "gewollt, aber nicht gekonnt". Bei einer Wanderung hatten wir z.B. Marmelade mit; auf diesem Plastikgefaess stand drauf: "jetzt in neuem Gefaess, so kommt auch noch das letzte bischen Marmelade raus." Leider kam nicht mal das erste bischen raus, weil das Loch im Deckel fuer die dickfluessige Marmelade viel zu klein war. Oder in der Gegend, wo ich gewandert bin, gab es furher Vicunas; sie haben die feinste und teuerste Wolle der Welt (ein kg kostet ueber 300 Dollar). Dies haben natuerlich auch die Einheimischen spitz gekriegt. Und was haben sie gemacht: anstatt die Vicunas einzufangen und zu scheren, haben sie sie abgeschossen, mit der Folge, dass es nun keine Vicunas, keine Wolle und kein Geld mehr gibt. Oder wenn man in Peru in ein Geschaeft geht, etwas fuer zwei und etwas fuer 3 Sol kauft und mit 10 Sol bezahlt, kann man sicher sein, das alles mit dem Taschenrechner ausgerechnet wird. Hier in Bolivien habe ich fast noch nie jemanden einen Taschenrechner benutzen sehen. Hier hat man eher das Gefuehl, dass es entweder gekonnt oder gar nicht gewollt ist.
Hier auf dem Markt kann man gebrannt Musik-CDs fuer einen Euro kaufen. Entweder komplette Alben oder CDs mit 5 oder 6 Alben als mp3. Da sie aber kein Englisch koenne und anscheind auch nicht abschreiben koennen, gibt es dann z.B. "Miriam Carey" mit dem Lied "with yu" (was wohl "Mariah Carey" mit "Without you" war).

Das einzig bloede hier ist, dass ich zu gross fuer das Land bin. Ich weiss nicht, wie oft ich mir hier schon den Kopf gestossen habe, weil irgendwelche Daecher der Marktstaende zu tief sind oder irgendwelche Kabel einfach ueber den Weg gespannt sind. Der Vorteil ist, dass ich bei irgendwelchen Veranstaltungen immer beste Sicht habe, auch wenn ich hinten stehe, weil ich uebr alle hinwegschauen kann.
Letztens haette mich fast ein Kiddi angepinkelt. Ich wollte eine Gruppe ueberholen und bin vom Buergersteig auf die Starsse ausgewichen. Da es dunkel war, habe ich erst im letzten Moment den Strahl gesehen, der von einem Kiddi kam, das auf dem Bordstein stehend im hohen Bogen auf die Strasse gepinkelt hat. In der Regel wird aber gerne an die Reifen parkender Autos gestrullert.
Auf dem Entrada letztes WE bestanden die oeffentlichen Toiletten aus vier Holzwaenden, die ueber einem Gulli aufgestellt waren. Daneben standen grosse Faesser mit Wasser zum Haendewaschen.

Das Zitat von Bertolt Brecht am Anfang dient mal zum nachdenken. Ich glaube, dass die Probleme, die die Laender und damit auch die Menschen hier in Suedamerika haben, zum Grossteil selbst verschuldet sind. Seit dem Ende der Kolonialzeit hatten sie immerhin fast 200 Jahre Zeit, um auf dei Beine zu gommen und es gibt riesige Rohstoffvorkommen in den meisten Laendern. Venezuela ist der drittgroesste Erdoelfoederer der Welt, aber trotzdem bettelarm.
Aber wenn die Arbeiter auf den Rosenplantagen in Ecuador (einer der groessten Rosenexporteure der Welt) Schutzkleidung bekommen wuerden, wenn sie Gift verspruehen muessen, waeren die Rosen bei uns halt teurer. Oder wenn die Kaffeepfluecker in Columbien gerecht bezahlt wuerden, muessten wir fuer den Kaffee halt mehr bezahlen. Wir waeren weniger reich und die Leute hier weniger arm. Vielleicht kann man ja wenigstens mal an den Ecuatorianer (oder auch Afrikaner) denken, wenn man das naechste mal im Blumenladen steht.

In diesem Sinne: HASTA LA VICTORIA SIMPRE

Sebastian

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